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Botond Roska und José-Alain Sahel mit International Prize for Translational Neuroscience geehrt
Blinde Menschen könnten eines Tages wiedersehen. Diesem Ziel ist die Forschung in den letzten Jahren einen großen Schritt nähergekommen. Die Gertrud Reemtsma Stiftung zeichnet in diesem Jahr zwei Wissenschaftler mit dem Translational Neuroscience Preis aus, die die Grundlagen dafür gelegt haben.
Botond Roska vom Institut für molekulare und klinische Ophthalmologie Basel hat Zellen in der Netzhaut des Auges genetisch so verändert, dass sie die Funktion defekter Sinneszellen übernehmen. José-Alain Sahel von der Sorbonne Universität in Paris hat eine Gentherapie für Betroffene und eine lichtverstärkende Brille als Sehprothese entwickelt. Ein Patient, der vor Jahrzehnten erblindet war, konnte dank der Behandlung wieder Lichtreize aus seiner Umwelt wahrnehmen. Der Translational Neuroscience Preis wurde am 22. Juni 2023 in Hamburg verliehen. Die Auszeichnung der Gertrud Reemtsma Stiftung wird seit 1990 für herausragende Leistungen in der neurologischen Grundlagenforschung vergeben (bis 2019: K-J.-Zülch-Preis) und ist mit 50.000 Euro dotiert.
Erbliche oder altersbedingte Defekte der Netzhaut sind häufig Ursache für den Verlust des Augenlichts. Retinitis Pigmentosa zählt dabei mit weltweit über zwei Millionen Betroffenen zu den häufigsten erblichen Netzhauterkrankungen. Verschiedene Mutationen lassen dabei die Sinneszellen der Retina degenerieren. Abgesehen von einer zugelassenen Therapie für das Frühstadium der Erkrankung, kann bereits erblindeten Menschen das Augenlicht bisher nicht wieder zurückgegeben werden.
Eine winzige Grünalge hat der Forschung neue Wege hin zu einer Therapie dieser Erkrankung gewiesen. Chlamydomonas reinhardtii besteht nur aus einer einzigen Zelle und besitzt auch keine Augen. Doch dank lichtempfindlicher Proteine kann sich die Alge trotzdem Richtung Licht bewegen. Diese als Channelrhodopsin bezeichneten Proteine ähneln dabei den lichtempfindlichen Molekülen in menschlichen Sinneszellen im Auge. Forschende haben das Gen für ein Channelrhodopsin in andere Zellen eingeschleust und diese so lichtempfindlich gemacht. Diese als Optogenetik bezeichnete Technik hat in den Neurowissenschaften viele neue Erkenntnisse ermöglicht. Auch zur Behandlung von Taubheit wird ihr Einsatz erforscht.
Wiederhergestellte Sehfähigkeit
Botond Roska hat die Funktionen der verschiedenen Zelltypen in der Retina und die Auswirkungen von Gendefekten in diesen Zellen untersucht. Er entwickelte ein Verfahren, mit dem er Gene mithilfe viraler Vektoren gezielt in bestimmte Zelltypen einschleusen kann. Auf diese Weise ist es Roska gelungen, die Sehfähigkeit von blinden Mäusen und menschlicher Netzhaut wiederherzustellen.
Um das gentechnische Verfahren am Menschen zu erproben, entwickelte José-Alain Sahel eine Gentherapie für Menschen. Sahel ist Augenarzt und erforscht neue medikamentöse Therapien, Netzhautprothesen und Gentherapien, um erbliche oder altersbedingte Defekte der Netzhaut zu behandeln.
Für eine klinische Studie behandelten die Forscher einen Patienten mit Retinitis Pigmentosa, der vor über einem Jahrzehnt erblindet war. Das Team brachte ein Gen für das lichtempfindliche Molekül Chrimson R in die Netzhaut des Patienten ein. Dadurch wurden retinale Ganglienzellen lichtempfindlich gemacht. Diese Nervenzellen können natürlicherweise keine optischen Signale empfangen. Es dauerte fast fünf Monate, bis die Zellen das Protein dauerhaft produzierten und der Patient erste Seheindrücke wahrnehmen konnte.
Chrimson R reagiert nur auf den gelb-orangenen Anteil des Lichtspektrums. Dieser Teil des Spektrums reicht jedoch nicht aus, die Umgebung bei normalen Lichtverhältnissen ausreichend wahrzunehmen. Das Team um José-Alain Sahel entwickelte deshalb eine lichtverstärkende Brille, die die Umgebung mit einer Kamera aufnimmt, die Signale in gelb-orangenes Licht umwandelt und sie in Echtzeit auf die Netzhaut des Patienten überträgt. Für das Sehen mit der Spezialbrille war ein intensives Training nötig. Nach sieben Monaten konnte der Patient Objekte vor seinen Augen lokalisieren, berühren und zählen. Inzwischen haben die Wissenschaftler diese Befunde bei weiteren Patienten bestätigt. Messungen der Hirnaktivität ergaben, dass dabei das Sehzentrum im Gehirn aktiviert wurde.
Die Ergebnisse zeigen, dass mit der optogenetischen Therapie die Sehkraft von Betroffenen mit Retinitis Pigmentosa zumindest teilweise wiederhergestellt werden kann. Bevor die Behandlung in Kliniken eingesetzt werden kann, muss sie jedoch erst in weiteren Studien geprüft und optimiert werden.
Quellen und weitere Informationen
Statement des Aktionsbündnis-Mitglieds Dr. Regina Görner
Vorsitzende BAGSO
„Auch wenn die Sehkraft im Alter schwächer wird, so schwindet nicht unsere Fähigkeit, weiterhin selbstbestimmt zu leben und an der Gesellschaft teilzuhaben. Und genau dafür machen wir uns stark!“
Dr. Regina Görner
Vorsitzende BAGSO
